Aussetzung der Vollziehung - Anordnung einer Sicherheitsleistung verfassungswidrig?

Wird die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht, muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine solche wirtschaftlich zumutbar ist. Dies stellte das BVerfG mit Beschluss v. 22.9.2009 klar.

Hintergrund

Eine GmbH, die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten erzielte, wandte sich mit Einspruch gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer auf diese Umsätze und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Als Begründung führte sie an, dass die Umsätze steuerfrei seien. Die entsprechende Regelung des UStG, die nicht zu einer Befreiung der Umsätze mit Geldspielautomaten führe (§ 4 Nr. 9b UStG), sei europarechtswidrig. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wies das Finanzamt zurück, über die Einsprüche ist noch nicht entschieden.

Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung bei Finanzgericht. Zur Begründung führte sie an, die Stellung einer Sicherheitsleistung würde ihre wirtschaftliche Existenz gefährden. Im Übrigen sei es aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des BFH an den EuGH höchst zweifelhaft, ob die deutsche Rechtslage im Einklang mit europäischem Recht stehe. Das Finanzgericht lehnte die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ab. Begründung: die Stellung einer Sicherheitsleistung sei geboten, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet sei, was bei einer schlechten Vermögenslage regelmäßig der Fall sei. Die deutsche Rechtslage sei eindeutig, steuerfrei seien nur Umsätze nach dem Rennwett- und Lotteriesteuergesetz. Das Vorabentscheidungsersuchen des BFH rechtfertige nicht die Aussetzung ohne Sicherheitsleistung.

Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts wandte sich die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde als dem zutreffenden Rechtsmittel, da ein weiterer Rechtsschutz vor den Finanzgerichten nicht gegeben war. Begründet wurde diese vor allem mit einer Verletzung des Art. 19 GG, der u. a. den Rechtsschutz sichere. Wenn ein Steuerpflichtiger aus wirtschaftlichen Gründen zur Stellung einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage sei, müsse ihm Aussetzung der Vollziehung gewährt werden, insbesondere dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Steuerbescheides bestehen.

Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab der Verfassungsbeschwerde statt und stellte fest, dass die Beschwerdeführerin durch den Beschluss des Finanzgerichts, keine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, in ihren Grundrechten verletzt ist. Die Entscheidung verletzt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Insbesondere führt es zu einer unzumutbaren Beschränkung des Rechtsschutzes, wenn das FG annimmt, die Sicherheitsleistung sei stets aus den laufend vereinnahmten Umsatzsteuerbeträgen zu erbringen.

Wird in Fällen, in denen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen, trotz bestehender wirtschaftlicher Unzumutbarkeit eine Sicherheitsleistung auferlegt, wird der Rechtsschutz eines Beschwerdeführers in unzumutbarer Weise beschränkt.

§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO führt nur aus, dass die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann. Hierbei hat das Finanzgericht die Rechtsprechung zur Ermessensausübung in verfassungswidriger Weise verkannt. Zwar ist die Frage, ob der Steueranspruch des Staates später durchgesetzt werden kann, von Bedeutung. Dies darf aber nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen sein Rechtsschutz in Fällen, in denen mit großer Wahrscheinlichkeit dem Steuerpflichtigen Recht zu geben ist, versagt werden darf. Hier spricht der Vorlagebeschluss des BFH mit großer Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Steuerpflichtige in der Hauptsache Recht bekommen wird.

Schließlich hat das Finanzgericht verkannt, dass hier eine unbillige Härte in der Festsetzung einer Sicherheitsleistung besteht. Es ist unangemessen, bei allen fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern (wie z. B. Lohn- und Umsatzsteuer) davon auszugehen, dass die Sicherheitsleistung aus den vereinnahmten Beträgen geleistet werden kann. Dies führte dazu, dass insbesondere bei der Umsatzsteuer in aller Regel nicht von einer Sicherheitsleistung abgesehen werden könnte. Eine solche Sichtweise, wie sie vom Finanzgericht vertreten wurde, schränkt die vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeiten zur Erlangung eines vorläufigen Rechtsschutzes unzumutbar ein.

 

Quelle

BVerfG, Beschluss v. 22.9.2009, 1 BvR 1305/09

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